05.12.2023

Dr. Beate Meyer

Foto: Birgit Geyer

 

Hinter der Stolperstein-Initiative liegt ein arbeitsreiches Vierteljahr:

 

Nachdem im Sommer bereits 9 Stolpersteine an der Bundesstraße vor dem Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium verlegt worden waren (dazu Kurzvideo: https://www.youtube.com/watch?v=cYk_flMDfp4), arbeiteten die Schülerinnen, ihr Geschichtslehrer Christoph Rass und Christina Igla von der Stolperstein-Initiative an der Erstellung einer Namenstafel, die die 130 ehemaligen Schülerinnen auflistet, die überlebt haben, aber wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt worden. Nächstes Jahr soll die fertige Tafel aufgestellt und eingeweiht werden.

 

Der Künstler Gunter Demnig und Peter Hess verlegten im Oktober 89 weitere Stolpersteine in Hamburg, darunter den 7000sten. Peter Hess hatte einen besonderen Ort für die Erinnerung an einen „kleinen Mann“ ausgewählt und damit große mediale Aufmerksamkeit erzielt. Vor dem vornehmen Hotel Vier Jahreszeiten Am Schwanenwik 29 wurde Harald Seligmann geehrt, der dort lange Jahre als Nachportier gearbeitet hatte. Dieser war wegen „Rassenschande“ mit seiner geschiedenen Ehefrau erst im „Kolafu“ und dann im KZ Neuengamme inhaftiert gewesen und schließlich 1942 unter dem Kürzel „14f13“, wie die „Euthanasie“-Aktion für KZ-Häftlinge verschleiernd hieß, in Bernburg/Saale ermordet worden. Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit gedachte seiner in einer bewegenden Rede, Herbert Diercks erläuterte die Biographie, das Hotel übernahm die Patenschaft.

 

Wie jedes Jahr fanden im Herbst zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt, die 2023 alle unter dem Eindruck des brutalen Überfalls der Hamas auf die israelische Bevölkerung standen. Für um so wichtiger erachten die Mitglieder der Stolperstein-Initiative es, auch auf den Terror und das Leid aufmerksam zu machen, denen Jüdinnen und Juden in der Geschichte ausgesetzt waren, und dem jetzt wieder grassierenden Antisemitismus entgegen zu wirken. So organisierten sie Veranstaltungen oder brachten auf Rundgängen die Biographien betroffener Jüdinnen und Juden ein, die sie erforscht hatten.

 

Die Synode des Kirchenkreises Altona und die Fux AG riefen auch dieses Jahr wieder zum Gedenken an die sogenannte Polen-Aktion auf. Am 28.10.1938 waren ca. 1000 polnischstämmige Jüdinnen und Juden an die Grenze Polens abgeschoben worden. Wie auch letztes Jahr fand die Veranstaltung in der ehemaligen Reit- und Exerzierhalle der Viktoria-Kaserne in Altona statt, wo die Betroffenen damals gesammelt wurden. Ingo Wille von der Stolperstein-Gruppe, der in letzter Zeit schwerpunktmäßig Biographien polnischer Staatsbürger bzw. Staatenloser in Altona verfasst hatte, brachte das Schicksal der Familie Weissmann aus der Wohlers Allee zu Gehör, die nach Zbaszyn abgeschoben und schließlich in Treblinka ermordet worden waren. Ihre drei Töchter blieben wie durch ein Wunder verschont. Deren Kindeskinder, die Urenkelinnen Lily und Aubrey Horn, angereist aus den USA, erinnerten an ihre Familie. Lily Horns Rede kann auf der Website www.stolpersteine-hamburg.de nachgelesen, ein Mitschnitt der Veranstaltung auf https://www.youtube.com/watch?v=EDSgnOLBbG4 angesehen werden.

Ein Rundgang zu den Stolpersteinen der polnischstämmigen Jüdinnen und Juden in Altona-Nord rundete das Gedenken ab.

Am 9. November putzte dann die Botschaftssprecherin des US-Konsulats, Elisabeth Rosenstock-Siller zusammen mit Rabbiner Shlomo Bistritzky vor der Wohlers Allee 38 die zwölf Stolpersteine zur Erinnerung an Nechemiah und Scheindel Weissmann sowie die Familien Friedmann und Schullerer.

 

An den Novemberpogrom 1938 erinnerten neben der Großveranstaltung der Jüdischen Gemeinde auch viele kleinere dezentrale Veranstaltungen in den Stadtteilen wie „Volksdorf leuchtet“ , „Hamm erinnert“ oder eine Gedenkveranstaltung in der St. Anschar-Kirche, hier brachten u.a. Maria Koser, Ursula Pietsch, Eva Lindemann und etliche andere, die hier nicht alle namentlich aufgelistet werden können, die von ihnen erarbeiteten Biographien zu den Stolpersteinen ein.

 

Die langjährige und intensive Arbeit der Stolperstein-Initiative, insbesondere die Erforschung und Verbreitung der Biographien, findet zunehmend auch Anerkennung von außen: So erhielt Ingo Wille am 21.9.2023 das Bundesverdienstkreuz, vor allem für seine Erforschung der Lebensgeschichten von jüdischen und nichtjüdischen Opfern der „Euthanasie“. Ingo Wille ist damit der dritte so geehrte „Stolpersteinforscher“ nach Klaus Möller, der sie für seine Verdienste um die Erinnerungskultur in Harburg erhielt, und Margot Löhr, die sie für die Arbeit über die „Vergessenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen“ bekam.

Da viele Mütter der von Margot Löhr betrachteten Kinder nach Hamburg und Umgebung verschleppte polnische Zwangsarbeiterinnen waren, fand ihre zweibändige Publikation (Band 22 unser Reihe „Stolpersteine in Hamburg“) auch in Polen größere Aufmerksamkeit: Im Oktober 2023 wurde sie auf dem Internationalen Filmfestival NNW in Gdynia dafür geehrt und ihre Arbeit in einem Abendbeitrag Ersten polnischen Fernsehens vorgestellt. Zudem arbeitet die polnische Künstlerin Anela Barcik an einem Dokumentarfilm, in dem sie Margot Löhrs Forschungsergebnisse visuell umsetzen will.

 

Dr. Beate Meyer